Ratgeber
„Marktverschiebungen hat es zu allen Zeiten gegeben“
Im Gespräch mit Michael Dittrich (Deutsche Bundesstiftung Umwelt) über nachhaltige Vermögensanlage in Phasen gesellschaftlicher Veränderungen
Das Interview führte Tobias Karow, Text: Grehor Jungheim, Lesezeit: 12min30, FondsFibel 2021
Trotz all ihrer Schrecken scheint auch die Corona-Pandemie eine Krise zu sein, von der sich der Markt erholen wird. Hiervon ist Michael Dittrich, Finanzchef und stellvertretender Generalsekretär der Deutschen Bundesstiftung Umwelt in Osnabrück überzeugt. Deshalb rät er auch künftig Stiftungen zur Berücksichtigung von Nachhaltigkeit in der Geldanlage. Dies bedeutet nicht nur Klimaschutz, sondern auch den Erhalt der Artenvielfalt.
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stiftungsmarktplatz.eu: Das Jahr 2020 war ein herausforderndes, ich nehme an, auch für Sie. Der März-Crash hat uns allen noch in den Knochen gesteckt und jetzt wundern wir uns, dass die Rallye alles wieder so ausgebügelt hat. Wie haben Sie das Jahr 2020 erlebt?
Michael Dittrich: Es war natürlich ein sehr herausforderndes Jahr, denn zu Beginn 2020 hätte niemand damit gerechnet, dass diese Pandemie so schnell den ganzen Globus überrollt. Wir haben auch nicht damit gerechnet, dass es dann eine so starke und schnelle Abwärtsbewegung gibt. Wir haben uns in dieser Krise so verhalten wie in den letzten Krisen: 2002 als die New Economy Blase geplatzt ist und 2009 bei der großen Schuldenkrise, ausgelöst vom amerikanischen Immobilienmarkt. Wir sind sehr zurückhaltend gewesen, haben uns die Situation angeschaut und überlegt, ob dies eine finale Krise ist im Sinne eines Zusammenbruchs des Wirtschaftssystems. Denn bei allen sonstigen Krisen gehen wir davon aus, dass sich nach einer gewissen Zeit die Märkte auch wieder erholen. Dann ist es in aller Regel günstiger, ruhig zu bleiben und nicht hektisch zu agieren. So haben wir uns auch hier verhalten. Market-Timing ist in einer solchen Krise sehr schwierig. Am Ende des Jahres sind wir mit dieser Strategie gut gefahren, weil sich die Kurse insgesamt weitgehend wieder erholt haben, wobei es bei einzelnen Titeln natürlich große Verwerfungen gegeben hat.
stiftungsmarktplatz.eu: Wie sieht nun Ihre Analyse des Jahres 2020 aus. Kriegen wir so etwas wie einen New Green Deal? Was sind die großen Themen, die wir 2021 spielen werden?
Dittrich: Wir haben noch einige Probleme vor uns. Wir wissen nicht, wie es trotz des Abkommens mit dem Brexit ausgehen wird. Daraus können immer noch Belastungen entstehen, denn Großbritannien ist in Europa eine große Volkswirtschaft. Was Amerika betrifft, können wir hoffen, dass mit Präsident Biden eine größere Verlässlichkeit der amerikanischen Politik am Ende auch dazu führen wird, dass sich Krisenherde und Konflikte etwas beruhigen, was auch gut für die Wirtschaft ist. Bei der Nachhaltigkeit bin ich der Meinung, dass das Thema in den nächsten Jahren weiter an Bedeutung zunehmen wird, durch die Initiativen in der Europäischen Union, aber auch weil immer mehr Menschen einsehen, dass wir mehr tun müssen, um den Klimawandel aufzuhalten und das Pariser 2-Grad-Ziel erreichen müssen. Ich denke, dass Präsident Biden die Bedeutung des Themas sieht. Inwieweit er das dann in politisches Handeln umsetzen kann, das müssen wir natürlich abwarten. Denn auch als damals Präsident Obama gewählt wurde, hatten wir die große Hoffnung, dass die USA deutlicher in Richtung Klimawandel umschwenken und es hat die eine oder andere Enttäuschung gegeben. Amerika ist auch ein sehr föderales System und man muss am Ende schauen, was der neue Präsident bewirken kann.
„Asien wird in den nächsten Jahren an Bedeutung zunehmen“
stiftungsmarktplatz.eu: Bedeutet die Freihandelszone in Asien für Sie, dass man im Portfolio etwas mehr Richtung Asien schielen muss?
Dittrich: Asien ist für uns kein Schwerpunkt in der Kapitalanlage. Wir sind als Deutsche Bundesstiftung Umwelt nach wie vor sehr stark auf Deutschland und Europa fokussiert. Wir weiten das ein Stück weit aus und verstärken die Anlagen außerhalb Europas , haben hier aber erstmal die USA in den Fokus genommen. Ich glaube aber, dass aufgrund des Wirtschaftswachstums und der globalen wirtschaftlichen Entwicklung Asien weiter an Bedeutung zunehmen wird.
stiftungsmarktplatz.eu: Was wird es denn in den USA sein? Anlagen, Aktien oder vielleicht REITs?
Dittrich: Wir werden es zunächst auf das Thema Aktien beschränken, weil wir sehen, dass die Wachstumswerte sich in den USA in den vergangenen Jahren gut entwickelt haben. Wir denken, es ist eine große, stabile Volkswirtschaft, vor allem mit einem großen Binnenmarkt und damit etwas resistenter gegen globale Wirtschaftskrisen. Wir wollen uns einfach ein Stück weit stärker diversifizieren.
Erhöhen werden wir auch unsere Engagements im Bereich Erneuerbare Energien, auch da gibt es in den USA Möglichkeiten. Im Bereich Währungen sind wir nach wie vor weitestgehend ein Euro-Anleger.
stiftungsmarktplatz.eu: Wie handhaben Sie aktuell die Themen Immobilien und Alternative Investments?
Dittrich: Wir haben im Moment nach Marktwerten gut 25% des Stiftungskapitals in Aktien investiert, ca. 65% in Anleihen und knapp 10% in Sachwerten. Dies teilt sich auf in etwas mehr als die Hälfte Immobilien und etwas weniger als die Hälfte Anlagen zur Erzeugung Erneuerbarer Energien. Letztere haben wir in den vergangenen Jahren aufgebaut und werden dies auch in den nächsten Jahren fortsetzen.
„Ein Portfolio muss verschiedenen Anforderungen genügen“
stiftungsmarktplatz.eu: Neulich hat mir eine Stiftung erzählt, dass sie gerne ein paar US-amerikanische Technologieaktien kaufen würde. Das Problem ist: Die schütten alle nicht aus und sie braucht einen ordentlichen Ertrag. Was würden Sie diesen Kollegen antworten?
Dittrich: Man muss ja nicht nur in amerikanische Technologieaktien investieren. Ein Portfolio muss verschiedenen Anforderungen genügen und ich kann bei einem Teil des Portfolios darauf setzen, dass ich über Kursgewinne langfristig eine Stabilisierung des Vermögens auch im Hinblick auf einen inflationsbereinigten Kapitalerhalt erzielen kann. Wir schauen auch bei Aktien, ob sie ausschütten oder nicht. Das heißt aber nicht, dass Wachstumswerte, die keine oder nur sehr geringe Ausschüttungen haben, ausgeschlossen sind.
stiftungsmarktplatz.eu: Vielleicht schütten diese Werte auch künftig eine Dividende aus. Denken wir an Microsoft, Intel oder Cisco. Vor 20 Jahren waren das Wachstumswerte. Sie wachsen immer noch, schütten aber inzwischen auch zwei oder drei Prozent aus.
Dittrich: Selbst bei Stiftungen, die für die Ewigkeit konzipiert wurden und bei denen solche langfristigen Gesichtspunkte ganz wesentlich sind , schaut man im Stiftungsmanagement auch auf die aktuellen Ergebnisse. Fördermittel, die für Projekte zur Verfügung stehen, müssen jetzt generiert werden. Man muss eben auch seine Hausaufgaben machen und die Stiftungsmittel bereitstellen, um das Tagesgeschäft und die Stiftungsaufgaben finanzieren zu können.
stiftungsmarktplatz.eu: Wenn Sie sagen „eine Stiftung muss nicht ausschütten“, kaufen Sie dann auch thesaurierende Fonds und wie handhabt eine Stiftung diese Fonds?
Dittrich: Die Stiftung muss natürlich schon Fördermittel ausschütten. Wir sind überwiegend in der Direktanlage tätig, 80% des Stiftungskapitals ist direkt investiert. 10% des Kapitals sind in Spezialfonds, mit denen wir Märkte außerhalb Europas abdecken. Hier und da kaufen wir auch Publikumsfonds in institutionellen Tranchen, mit denen wir dann Märkte außerhalb Europas abdecken, wo wir keine Titelselektion betreiben können. Da bevorzugen wir dann in der Tat ausschüttende Fonds. Thesaurierende Fonds schließen wir aber nicht aus. Wenn wir sie zu höheren Kursen verkaufen, haben wir einen außerordentlichen Ertrag. Dieser kann als Vermögensumschichtung in die Rücklage gehen oder man kann ihn für Ausschüttungen verwenden, wenn es notwendig sein sollte.
„Wir schauen ganz intensiv auf die Gebührenstruktur“
stiftungsmarktplatz.eu: Wenn Sie einen Fonds auswählen, wonach schauen Sie? Was muss ein Anbieter haben, damit Sie sagen „das kommt für mich in die Tüte“.
Dittrich: Wir haben mehrere Kriterien, Ausschüttung ist nur eines davon. Wir investieren in der Regel nicht in Fonds mit einem Volumen von weniger als 50 Millionen Euro, wir achten bei Fonds sehr stark darauf, dass sie auch einen Nachhaltigkeitsfilter haben, also ESG-Kriterien beachten, wir schauen ganz intensiv auf die Gebührenstruktur, wo es erhebliche Unterschiede gibt, und wir schauen natürlich auf die Ergebnisse, die der Fonds bislang erzielt hat. Auch die Adresse, also der Fondsanbieter, ist uns wichtig.
stiftungsmarktplatz.eu: Ich finde es schlimm, wie schlecht manche Fondsanbieter informieren. Spielt für Sie auch die Informationspolitik eine Rolle?
Dittrich: Wir beobachten laufend die Wertentwicklung, warten aber nicht darauf, dass wir jede Woche einen Bericht bekommen. Was wir schon schätzen, ist ein monatliches Reporting. Bei der Vielzahl der Anlagen ist die Zeit, einen Fonds permanent zu verfolgen, begrenzt. Es ist ja der Sinn eines Fonds, dass wir z.B. bei einem Länderfonds in Asien nur auf die Gesamtperformance schauen und nicht, in welchen Titeln er gerade investiert ist, weil uns viele Unternehmen ohnehin wenig sagen.
stiftungsmarktplatz.eu: Setzen Sie das auch über ETFs um?
Dittrich: Diese sind aus Kostengesichtspunkten sehr interessant, aber wir nutzen beide Instrumente. Manchmal Fonds, was im Bereich Nachhaltigkeit sehr sinnvoll sein kann, wenn die Manager ein wirklich gutes Nachhaltigkeitskonzept haben. Um beispielsweise Länderthemen abzudecken, ist ein ETF genauso möglich und hinsichtlich der Kostenstruktur auch eine wirklich gute Alternative.
„Man muss nicht gleich der beste nachhaltige Kapitalanleger Deutschlands werden“
stiftungsmarktplatz.eu: Sie sind als Umweltstiftung besonders angehalten, das Thema Nachhaltigkeit sehr streng zu sehen. Auf was kommt es Ihnen da an, was würden Sie anderen Stiftungen empfehlen, an erster Stelle zu machen?
Dittrich: Wichtig ist erstmal der Einstieg. Man muss nicht vom ersten Tag an den Anspruch haben, der perfekte und beste nachhaltige Kapitalanleger Deutschlands zu werden. Manchmal wird die erste Entscheidung dadurch blockiert, dass man so viele Dinge sieht, die man eigentlich tun könnte und müsste und bei der Vielzahl der Möglichkeiten zögern dann viele, überhaupt etwas zu tun. Nachhaltigkeit schrittweise zu entwickeln, halte ich nach wie vor für sehr sinnvoll. Es kann schon sinnvoll sein, messbare Kriterien einzuführen, die man dann auch zum Gegenstand eines Controllings macht, bestimmte Quoten einzuführen, die man in bestimmten Nachhaltigkeitsindizes erreichen will oder sich eine Rating-Agentur zu suchen und zu vereinbaren, wie viel Prozent in einer bestimmten Nachhaltigkeitsintensität erreicht werden sollen. Das geht dann weiter. Es gibt bei vielen Stiftungen bestimmte Ausschlusstatbestände. So haben wir z.B. 2015 beschlossen, nicht mehr in Kohle zu investieren und inzwischen aber auch ca 95% aller Engagements, die es in diesem Bereich gab, abgebaut, sodass wir heute annähernd kohlefrei sind. Im selben Zug haben wir beschlossen, in Anlagen zur Erzeugung erneuerbarer Energien zu gehen. Dieser Bereich macht inzwischen ca. 4% des Stiftungskapitals aus. Weitere Gelder sind hierfür committed, die aber noch abgerufen werden müssen. Das wird in den nächsten Jahren noch weiter gehen. Was man dabei durch die C02-Kompensation l an Beiträgen für den Klimaschutz erzielt, ist durchaus beachtlich.
stiftungsmakrtplatz.eu: Würden Sie also sagen, dass eine Stiftung, wenn sie sich engagiert, sich vor allem anstrengen sollte, den CO2-Footprint zu verbessern?
Dittrich: Wir haben global zwei ganz große Problemfelder. Das eine ist der Klimawandel, das andere der Verlust an Biodiversität, also der Artenschwund. Das Thema Klimawandel dominiert, weil es über die CO2-Messmethoden leichter handhabbar ist. Will ich mit meiner Kapitalanlage einen Beitrag leisten, dass weniger Arten verschwinden, ist das Thema deutlich schwieriger. Es geht teilweise, aber es ist wesentlich schwieriger, akzeptierte und zertifizierte Produkte zu erstellen, die allgemein in ihrer Wirkung anerkannt sind. Bei CO2 geht das viel einfacher. Den CO2 Footprint einer Kapitalanlage kann ich heute relativ gut berechnen. Das publizieren die großen Unternehmen auch schon, zumindest was die selbsterzeugte und die zugekaufte Energie angeht, also die Scope 1 und 2 WerteBei den Dienstleistungen und Vorprodukten, also scope 3 ist es schwieriger, aber auch da wird es Fortschritte geben.
Wenn ich dann feststelle, dass ich ein bestimmtes Portfolio mit einem bestimmten CO2-Footprint habe, kann ich mir die Frage stellen, wie ich den verbessere oder auch fragen, welche Unternehmen in ihrer Branche einen signifikanten Beitrag dazu leisten, dass die Transformation zu einer CO2-neutralen Wirtschaft erreicht wird. Unter dem Aspekt kann es durchaus sein, dass in einer Branche, die CO2-kritisch ist, z.B. die Stahlindustrie, Unternehmen, die viel investieren, um zum Beispiel mit Hilfe von Wasserstoff „grünen“ Stahl herzustellen, einen sehr großen Transformationsbeitrag leisten, weil sie sehr viel CO2-Output beeinflussen. Die sind dann möglicherweise auch wieder investierbar. Das ist der neue Aspekt, der in den kommenden Jahren stärker in den Vordergrund rücken wird. Hier muss man natürlich schauen, wo man Daten herbekommt, die das auch belegen. Ich werde dann einzelne Geschäftsbereiche und Unternehmen getrennt beurteilen müssen. Es ist sicher auch eine Frage der Zurverfügungstellung geeigneter und belastbarer Daten.
„Die verschmähte Stahlaktie hat am Ende bloß jemand anderer“
stiftungsmarktplatz.eu: Das ist ein spannender Punkt, weil man damit das Anlageuniversum nicht weiter einschränkt, sondern ein Stück weiter investierbar macht. Die Fortschritte der bisherigen CO2-Sünder werden erheblich größer sein im Vergleich zu den Firmen, die ohnehin schon wenig emittieren.
Dittrich: Absolut, vor allem wenn es um Branchen geht, die zu unserem täglichen Leben dazugehören. Wir werden auf absehbare Zeit nicht ohne Stahl auskommen. Natürlich ist es sehr einfach, in einer Kapitalanlage alle Stahlunternehmen auszuschließen und damit dann für den Anleger einen im Vergleich zur Benchmark sehr günstigen CO2-Footprint zu zeigen. Am Ende hat die Aktie aber dann ein anderer, denn die Stahlindustrie wird es weiterhin geben.
stiftungsmarktplatz.eu: Wäre der gleiche Ansatz beim Thema Biodiversität zu machen, also indem ich mir Unternehmen anschaue, die besonders bemüht sind, die Biodiversität zu fördern und zum Beispiel saubere Schiffe einsetzen?
Dittrich: Sie können schauen, welche Wirtschaftsaktivitäten die Biodiversität schonen und welche sie beeinträchtigen. Das ist von den Messmethoden her aber deutlich schwieriger nachzuweisen. Der Anleger möchte am Ende ein Zertifikat mit Zahlen haben. Wenn dort draufsteht, dass er 10.000 Tonnen CO2 kompensiert hat, kann er das in einem Controlling reporten. Wenn er sagt „ich habe in ein Unternehmen der Agrochemie mit besonders schonenden Düngemitteln investiert , die möglicherweise die Biodiversität in landwirtschaftlich genutzten Gebieten schonen“, kann ich nur mit sehr viel größerem Aufwand messen, wie viele Arten geschont wurden wie viele Insekten am Leben geblieben sind und den positiven Impact in eine Zahl bringen.
stiftungsmarktplatz.eu: Das ist man wahrscheinlich mehr auf der qualitativen Ebene unterwegs, man muss es sich konkret anschauen und das ist echt schwierig.
Dittrich: Wir sind im Bereich der Finanzen und in diesem Bereich reden wir natürlich über Zahlen und über das Zählen, Messen, Wiegen. Das ist das Grundthema der Wirtschaftsprüfer. Mit qualitativen Beschreibungen tut sich der Finanzsektor schwer. Wir brauchen das aber. Das Thema Artenschutz ist ein ganz wichtiges und der Finanzsektor hat nicht nur beim Thema Klimaschutz eine wichtige Aufgabe. Wirtschaftliche Aktivitäten beeinträchtigen in vielerlei Hinsicht rund um die Welt auch die Artenvielfalt.
„Ein schlecht geführtes Unternehmen wird auf Dauer nicht erfolgreich sein“
stiftungsmarktplatz.eu: Mir persönlich kommt bei den ESG-Begrifflichkeiten das Thema G, also Governance, häufig zu kurz. In meinen Augen ist aber ein schlecht geführtes Unternehmen keine gute Idee für ein Investment. Wird Ihnen ESG ein bisschen zu sehr außen vorgelassen?
Dittrich: Das ist sicher auch regional unterschiedlich, aber insgesamt haben Sie völlig recht. Auch in unserer Stiftung spielt der Umweltschutz bei ESG die größte Rolle, ohne dass wir die Themen S und G hinten runterfallen lassen . Natürlich schauen zum Beispiel US-amerikanische Anbieter wesentlich stärker auf das S, die Themen Diskriminierung und Gleichheit. Auch spielt das Thema G eine sehr starke Rolle. Hier gab es in Deutschland auch einige Sündenfälle. Auch ich glaube, dass ein schlecht geführtes Unternehmen auf Dauer nicht erfolgreich sein wird. Insofern ist das Thema G natürlich auch wichtig, selbst wenn für uns das Thema Umweltschutz von den drei Stichworten sicherlich das wichtigste ist.
stiftungsmarktplatz.eu: G gilt natürlich auch für Staaten. Bei einem schlecht geführten Staat, in dem die Zukunft nicht erkannt wird, wird es auch schwierig.
Ist für Sie denn auch das Thema Immobilie ein wichtiges und was machen Sie bei diesem Thema? Ich höre von vielen kleinen und mittleren Stiftungen, dass sie die Immobilien aufstocken wollen, weil sie das Gefühl haben, das Depot damit besser auszubalancieren.
Dittrich: Wir haben Immobilien im Umfang von 6% des Stiftungskapitals, investiert fast ausschließlich in geschlossenen Immobilienfonds. Wir sind über die Jahre mit unseren Immobilieninvestments durchaus zufrieden. Gerade wenn man es mit dem vergleicht, was im Moment an Zinsen zu erzielen ist. Jetzt in der Pandemie muss man natürlich sehen, welche Auswirkungen diese haben wird. Wir sehen natürlich auch bei einigen Immobilienfonds, dass sie ihre Ausschüttungen eingestellt oder gekürzt haben, weil den Mietern teilweise Zugeständnisse gemacht werden müssen. Inwieweit sich das wieder aufholen lässt, muss man sehen. Insofern muss man das sicherlich segmentiert betrachten. Ganz schlecht sieht es im Moment im Bereich der Hotelinvestments aus. Im Bereich der Büroimmobilien muss man die langfristigen Folgen anschauen, ob tatsächlich die Vermutung richtig ist, dass durch mehr Home Office weniger Büroflächen benötigt werden. Das kann sein, aber das weiß ich heute noch nicht.
stiftungsmarktplatz.eu: Vielleicht brauchen wir auch mehr Flächen, weil wir mehr Meeting Points im Büro haben. Wir arbeiten zuhause, kommen aber für Meetings ins Büro und da müssen auch die Möglichkeiten mit Fernsehstudio und Podcast-Studio geschaffen werden, was tendenziell etwas mehr Fläche als vorher braucht.
Dittrich: Es ist auch eine Frage der Arbeitskultur, die sich nur langsam verändert. Eine Reihe unserer Kolleginnen und Kollegen, die Home Office machen könnten, gehen lieber ins Büro, weil sie hier eine wesentlich bessere Infrastruktur haben als in ihrem häuslichen Umfeld. Das betrifft z. B. die Arbeitsplatzgestaltung oder auch nur gute Bürostühle. Nicht jeder hat ein voll eingerichtetes Arbeitszimmer zuhause. Manche schätzen darüber hinaus auch den laufenden Austausch mit Kollegen, das kurze Gespräch auf dem Flur oder in der Teeküche.
stiftungsmarktplatz.eu: Wenn das nicht passiert, geht ja auch viel verloren.
Dittrich: Andere wollen auch nicht zuhause allein sein, da hat das Büro und der persönliche Kontakt zu den Kolleginnen und Kollegen eine wichtige Funktion auch für die Kreativität und das gemeinsame Erarbeiten von neuen Ideen. . Insofern bin ich mir nicht sicher, was die langfristigen Folgen im Bürobereich sind.
„Jede Krise trifft einen anderen Bereich der Wirtschaft“
stiftungsmarktplatz.eu: Wie sieht es bei Wohnimmobilien aus?
Dittrich: Sicherlich interessant, aber wir investieren grundsätzlich nicht in Wohnimmobilien. Das ist eine Grundsatzentscheidung, die wir getroffen haben. Was wir dagegen machen, sind Investitionen in Pflegeheime oder Studentenwohnheime, also soziale Immobilien. Da sehen wir im Moment keine Ausfälle. Die laufen auch in der Pandemie rund. Wie auch in anderen Krisen ist nicht alles gleichmäßig betroffen. Aber jede Krise trifft einen anderen Bereich der Wirtschaft.
stiftungsmarktplatz.eu: Wenn wir nicht nur auf das Jahr 2021, sondern auch auf 2030 und 2035 schauen, hat sich für Sie mit 2020 etwas Fundamentales verändert, sodass Stiftungen hierauf reagieren müssen? Muss man künftig echt was anderes machen als man es die vergangenen 20 Jahre gemacht hat?
Dittrich: Da bin ich mir nicht sicher. Wir müssen erst einmal abwarten, was passiert, wenn tatsächlich große Teile der Bevölkerung geimpft sind und die Pandemie uns in unserem wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben nicht mehr einschränkt. Ich bin mir sicher, dass künftig die eine oder andere Dienstreise unterbleiben wird, weil man sagt „das können wir auch gut elektronisch machen“. Auf der anderen Seite bin ich aber auch ganz sicher, dass zum Beispiel große Konferenzen als Präsenzveranstaltung wieder eine ebenso große Bedeutung erlangen werden wie vor der Pandemie. Wenn die Leute sich sicher fühlen, dass sie sich dort nicht anstecken, ist der Austausch mit anderen aus der community ein ganz wesentlicher Gesichtspunkt. Es ist nicht nur das Konferenzprogramm, sondern auch der persönliche Austausch , auch der informelle, der in großen Videorunden nicht stattfinden kann. Man möchte auch mal am Rande einer Tagung zu zweit oder zu dritt ein Gespräch führen. Insofern vermute ich, dass sich nach der Pandemie auch die Hotels schnell wieder füllen werden.
Ich traue mir aber nicht zu, die Auswirkungen im Einzelnen vorherzusagen. Man wird sicherlich Verschiebungen sehen, dass vielleicht Luftfahrtunternehmen länger brauchen um sich zu erholen , aber z.B. IT-Ausrüster, die die Gesellschaft Home Office fähig machen, profitieren werden. Das heißt aber nicht, dass der Aktienmarkt insgesamt schwächer wird, sondern es gibt eine Verschiebung unter den Branchen. Das hat es zu allen Zeiten gegeben. Ich würde auch die Tourismusbranche nicht abschreiben. Wenn die Leute sich wieder sicher fühlen, werden sie sehr gerne auch wieder in den Urlaub fahren und auch versuchen, das nachzuholen, was sie 2020 verpasst haben. Sicherlich ist es daher sinnvoll, wenn die Touristik-Unternehmen versuchen, ihre Infrastruktur auch aufrecht zu erhalten, weil die Pandemie am Ende kein Game Changer in dem Sinne ist als dass sie unser ganzes Wirtschafts- und Gesellschaftsleben auf den Kopf stellen wird. Das sehe ich Stand heute nicht.
„Veränderungen kommen in wesentlich kürzeren Zeiträumen“
stiftungsmarktplatz.eu: Was bedeutet das, wenn ich als Stiftung jetzt meine Vermögensanlage mache? Nicht aktionistisch sein und lieber ein übergeordnetes Bild entwickeln, auf die ordentlichen Erträge schauen, was würden Sie machen?
Dittrich:Eine gesunde Diversifizierung zwischen den verschiedensten Assetklassen ist immer sinnvoll. Stellen Sie sich möglichst breit auf, gerade bei einem langen Anlagezeitraum. Ich traue mir keine Bewertung zu, was 2030 oder 2035 sein wird. Wir haben in den vergangenen Jahren erlebt, dass die Veränderung in wesentlich kürzeren Zeiträumen kommt. Man ist ja schon ganz froh, wenn man die nächsten zwei bis fünf Jahre einigermaßen abschätzen kann.
stiftungsmarktplatz.eu: Und im Augenblick wissen wir nur, dass wir einen harten Winter überstehen müssen. Herr Dittrich, vielen Dank für dieses ausführliche Gespräch.